Mein Auto ist – also bin ich!


    Mit spitzer Feder …


    (Bild: zVg)

    Ich liebe mein Auto – gerade in Corona-Zeiten ist es ein treuer Begleiter geworden, der mich nicht nur zuverlässig von A nach B bringt, sondern mir in der aktuellen Situation viel gesundheitliche Sicherheit gibt. Allerdings wäre wünschenswert, dass Regeln und Gesetze auf der Strasse von allen Verkehrsteilnehmern eingehalten würden. Ein Phänomen, dass besonders während der Epidemie ohren- und augenfällig ist, sind die sogenannten Autoposer, die mit ihren Wagen protzen und lärmen. Zurzeit verzeigt die Polizei reihenweise solche Protzer und zieht aufgedröhnte Autos ein. Jüngstes Beispiel ist eine gezielte Kontrollaktion der Kantonspolizei Bern, die in Thun zehn Fahrzeuge eingezogen und 13 Anzeigen verteilt hat. In Winterthur gibt es in diesem Jahr schon 100 Verzeigungen, die Kapo Zürich hat bereits 250 Rapporte im Bereich Tuning, 100 Anzeigen sind es im Kanton Thurgau und die St. Galler Kapo zeigte bei drei Schwerpunkteinsätzen rund 50 Poser an. In vielen anderen Kantonen sieht die Situation rund um den ärgerlichen Renommierverkehr ähnlich aus. Auch der Kanton Aargau ist ein Hotspot und geht verstärkt gegen Autoposer vor. In vielen Aargauer Gemeinden wehrt sich die Bevölkerung mit Petitionen dagegen. Das Thema ist folglich auch auf dem Radar der Politik: Gas geben in dieser Frage wollen zahlreiche Parlamentarierinnen und Parlamentarier, darunter die Aargauer SP-Nationalrätin Gabriela Suter sowie FDP-Ständerat Thierry Burkhard. Er hat in der Sommersession ein Postulat eingereicht, das eine umfassende Analyse der Problematik verlangt. Suter fodert in drei Vorstössen PS-Beschränkungen für Junglenker, die Einführung von sogenannten Lärmblitzern sowie eine Dezibelgrenze für Motorräder. Soviel zum Status quo.

    Ich habe mich gefragt, wer denn diese Strassenrowdies, die die Gunst der Stunde nutzen und die leeren Strassen zu ihrem Spielplatz erklären, sind? Mit gesundem Menschenverstand und über 40jähriger Lebenserfahrung kann ich mir die Antwort dazu selber geben. Es sind ganz offensichtlich Menschen, die sich von ihren Emotionen leiten lassen. Für sie bedeutet ihr Auto Freiheit, Unabhängigkeit und ist ein Symbol dafür, dass sie erwachsen sind. Vielfach erhält das Auto für die jungen Männer (es scheint ein typisches Testosteron-Problem zu sein) dadurch eine grosse innere Bedeutung so im Stil «Mein Auto ist – also bin ich!» Sie identifizieren sich voll und ganz mit ihrem Auto. Ihr Selbstwert steht und fällt mit Ihrem Auto. Fahren sie am Wochenende im teuren BMW vor der Disco vor, Fenster runter und die Bässe aufgedreht, dann erhalten sie Aufmerksamkeit. Genau in dieser Situation sind sie dann zum ersten Mal in ihrem Leben jemanden – dank dem Auto. Auch wenn sie einen Kavalierstart hinlegen, den Motor aufheulen und den Auspuff knallen lassen und ein Rennen fahren – dann fühlen sie sich als Helden, die gesehen und gehört werden. Also kurz und bündig: Diese Autoposer sind im Grunde bemitleidenswerte Kreaturen, welche eine Psychotherapie dringend nötig hätten inklusive Fahrausweisentzug – Ende der Diskussion! Mitmenschen mit PS-überdrehten Boliden zu tyrannisieren, verstösst gegen die Strassenverkehrsordnung. Übrigens, leise Motoren wären technisch ein Kinderspiel – es ist nur eine Frage des Wollens!

    Und wenn wir gerade beim emotionalen Thema Auto sind. Ich fahre seit dem Lockdown fast täglich mindestens 50 bis 100 Kilometer pro Tag, darunter viel auf der Autobahn. Dabei ist mir aufgefallen, fast jeder Dritte fährt ein Rennauto, bloss ohne Rennstrecke. In 6 Sekunden von 0 auf 100? Super, doch wo und wann? Fakt ist, die meisten haben die falschen Autos für heutige Verhältnisse. Heute sind wir Teil der Blechlawine, kollektiv von Ampel zu Ampel, notorisch im Stau. Der Raum wird enger, das Durchschnittstempo sinkt, aber das Auto wird Jahr für Jahr grösser, schneller, stärker. Die Strassen sind verstopft und wir reagieren wie Menschen gerne reagieren, wenn sie den Durchblick verlieren: Wir verdoppeln die Anstrengung, wir rüsten auf. Ergo, das Auto wird noch wuchtiger, schneller, potenter – rasender Stillstand, frustrierte Automobilisten sind die logischen Folgen.

    Da lob ich mir meinen kleinen Stadtflitzer – ein Citröen C1. So bin ich eleganter, heiterer, freundlicher, offener, farbiger und flüssiger unterwegs, ganz nach dem Motto «weniger ist mehr».

    Herzlichst,
    Ihre Corinne Remund
    Verlagsredaktorin

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