Regionalität wird immer wichtiger!

    Die KMU und das Gewerbe im Kanton Aargau haben das erste Halbjahr gut gemeistert, wie das «KMU-Barometer» zeigt: Herausforderungen sind unterbrochene Lieferketten, hohe Rohstoffkosten und fehlende Planungssicherheit – insbesondere die Inflation und der Fachkräftemangel. Dennoch blick die Wirtschaft dank hoher Resilienz weitgehend zuversichtlich in die Zukunft, weiss Urs Widmer, Geschäftsführer des Aargauischen Gewerbeverbandes AGV.

    (Bilder: zVg) AGV-Geschäftsführer Urs Widmer wünscht sich weiterhin gesunde und flexible KMU in einem KMU-freundlichen Umfeld.

    Sie sind seit dem 1. April 2021 Geschäftsführer des Aargauischen Gewerbeverbandes AGV. Wie haben Sie das erste Jahr im neuen Amt erlebt?
    Urs Widmer: Das erste Jahr war sehr intensiv. Nachdem es im ersten Monat darum ging, die Mitarbeitenden und das Präsidium kennenzulernen und die Geschäftsübergabe von meinem Vorgänger zu übernehmen, waren die nächsten Monate dazu da, die Vorstandsmitglieder zu kennen. Anschliessend habe ich mir Zeit genommen, an die Generalversammlungen unserer Gewerbevereine und der Berufsverbände zu gehen und dort unsere Mitglieder zu treffen. Zudem stand mit der Aargauischen Berufsschau im September bereits ein Grossanlass vor der Türe. Dank der grossen Unterstützung meiner langjährigen Mitarbeitenden war mein erstes Jahr als Geschäftsleiter des AGV sehr erfolgreich.

    Wie geht es den Aargauer Unternehmen im Sommer 2022?
    Der AGV macht jeweils halbjährlich mit dem KMU-Barometer eine Zustandsanalyse. Nachdem die Aargauer KMU und das Gewerbe relativ gut (mit einigen bekannten Ausnahmen) durch die COVID-Krise gekommen sind, stellen nun die Auswirkungen des Ukraine-Krieges die Unternehmen vor neue Herausforderungen. Lieferengpässe, fehlendes Material, steigende Preise und die Unsicherheit betreffend Energieversorgung führen bei unseren Mitgliedern zu neuen Themenstellungen. Auch Branchen, die bisher problemlos funktionierten wie das Baugewerbe, sehen sich nun plötzlich anderen Gefahren ausgesetzt. Zur ganzen Misere kommt noch der akute Fachkräftemangel.

    Wie hat die Aargauer KMU-Wirtschaft die zwei Jahre Pandemie überstanden respektive verdaut?
    Gut – dank ihrer Flexibilität und Resilienz konnten sie sich schnell anpassen. Das konnten wir vor allem während der verschiedenen Verläufe der Covid-Krise feststellen. Viele Branchen arbeiteten durch, Home Office funktionierte ebenso wie die Sicherheitskonzepte in den Betrieben – auch die Vertriebskanäle konnten aufrechterhalten werden. Die Rückzahlungen der vom Bund verbürgten COVID-Kredite läuft ebenfalls problemlos; ich habe weder vom Gewerbe noch von den Banken etwas anderes gehört.

    Der grösste Anlass des AGV ist die Aargauische Berufsschau, welche alle zwei Jahre von rund 35’000 Schülerinnen und Schüler mit ihren Eltern und Lehrpersonen besucht wird. Die nächste Berufsschau finde vom 5. bis 10. September 2023 im Tägi Wettingen statt.

    Es gibt auch eine Kehrseite der Medaille: Die Globalisierung hat in mancher Hinsicht Glaubwürdigkeit eingebüsst und das Augenmerk auf den lokalen und regionalen Produkten und Dienstleistungen ist in den Fokus gerückt. Wie spüren dies die Aargauer Unternehmen?
    Ich bin überzeugt, dass im Zeitalter der Globalisierung die regionalen Produkte und Dienstleistungen eine noch grössere Rolle spielen. Wie wichtig diese lokale und regionale Wertschöpfung ist, haben wir in den vergangenen zwei Jahren erlebt. Sind die internationalen Handelsströme unterbrochen, so steigt der Wert der lokalen und regionalen Produktion. Ich stelle fest, dass diese Erkenntnis bei den Konsument­innen und Konsumenten langsam wirkt. Wohnen und arbeiten in derselben Region bringt Lebensqualität. Die Globalisierung hat in mancher Hinsicht Glaubwürdigkeit eingebüsst und das Augenmerk auf den lokalen und regionalen Produkten und Dienstleistungen ist in den Fokus gerückt. Der nahe Kontakt zwischen Anbieter und Kunde wirkt vertrauensfördernd.

    Seit Ostern finden nach der Pandemiepause wieder Gewerbeausstellungen statt. Wie wichtig ist diese regionale und lokalen Wertschöpfung für das Aargauer Gewerbe?
    Im Aargau gehören Messen zu beliebten Freizeitaktivitäten der Bevölkerung und sind wichtige Informations-Plattformen, um neue Produkte oder Themen kennenzulernen oder sich auch nur treiben zu lassen und zu geniessen. Auch heute haben regionale Gewerbeschauen ihre Berechtigung. Dieser nahe Kontakt zwischen Ausstellern und potenziellen oder bestehenden Kunden bietet herausragende Möglichkeiten, um die Bekanntheit der lokal ansässigen Firmen zu erhöhen und über den Kauf hinweg zufriedene Neukunden zu gewinnen.

    Es ist zentral, dass die Betriebe einen Ausbildungsplatz anbieten. Bald beginnt für viele Schulabgänger die Lehre. Wie sieht die Situation im Aargauer Gewerbe aus?
    Die Anzahl der abgeschlossenen Lehrverträge sieht gesamthaft gesehen gut aus; allerdings gibt es auch hier sehr grosse Unterschiede in den Branchen. Es können aber leider bei weitem nicht alle offenen Lehrstellen besetzt werden.

    Wie steht es um den Fachkräftemangel im Aargauer Gewerbe und wie unterstützt der AGV in dieser Situation seine Mitglieder?
    Der Fachkräftemangel ist wie überall ein grosses Thema. Mit «Schule trifft Wirtschaft» versuchen wir auf regionaler Stufe den Schulterschluss zwischen den Schulen und dem Gewerbe. Dabei finden regional unterschiedliche Veranstaltungen statt, um die Berufsfindung und auch die Lehrstellensuche zu vereinfachen. Auf kantonaler Ebene führen wir alle zwei Jahre mit den Berufsverbänden die Berufsschau durch, wo über 200 Berufe durch die Jugendlichen erlebt werden können. Die mehr als 32’000 Besucher schätzen diese konzentrierte Form der Berufsvermittlung sehr.

    Der Aargau ist Spitzenkanton, wenn es um den Export geht. Fast ein Drittel aller Beschäftigten sind in der Exportbranche tätig. Wie stark gefährden der starke Franken sowie der Ukraine Krieg respektive Lieferengpässe die Wettbewerbsfähigkeit des Kantons?
    Dem Kanton geht es nur gut, wenn es auch den Unternehmen im Kanton gut geht. Gegen externe Faktoren kann er wenig unternehmen, hingegen muss er schauen, dass die Unternehmen im Aargau über sehr gute Rahmenbedingungen und eine attraktive Steuersituation verfügen. Hier gibt es durchaus noch Handlungsbedarf.

    Der AGV will die unternehmerische Freiheit stärken und ausbauen, damit KMU ihre Potenziale im freien Markt entfalten können. Wie unterstützen Sie die KMU-Wirtschaft in dieser Hinsicht konkret?
    Der AGV verfolgt den Zweck, die wirtschaftlichen und politischen Interessen der kleinen und mittleren Unternehmen und des Gewerbes zu wahren und zu fördern. Der AGV fasst die gemeinsamen Bestrebungen seiner Mitglieder zusammen und vertritt die gemeinsamen Forderungen und Interessen gegenüber Behörden, Parlamenten, politischen Parteien, Privaten und anderen Organisationen sowie der Öffentlichkeit. Er beteiligt sich an kantonalen Vernehmlassungen und gibt Abstimmungs- und Wahlempfehlungen ab. Mit der grossrätlichen Gewerbegruppe hat er einen direkten Draht ins kantonale Parlament. Mit der Einsitznahme in verschiedenen Kommissionen, Verbänden und Arbeitsgruppen nimmt er aktiv Gewerbepositionen ein.

    Ein lästiges Dauerthema ist der administrative Aufwand und die Vorschriften. Welche Herausforderungen nebst unnötigen Regulierungen stellen sich den Aargauer Unternehmen?
    Die Liste ist unendlich lang und die Digitalisierung hilft nur bedingt. Dank Flexibilität und Innovation erwirtschaften die KMU eine hohe Wertschöpfung und tragen massgebend zum Wohlstand in der Schweiz bei. Angesichts ihrer grossen Bedeutung ist es stossend, dass KMU im Umfeld einer fortschreitenden Regulierungsdichte mit immer mehr administrativem Aufwand und zusätzlichen Kosten belastet werden. Hochrechnungen haben ergeben, dass gesamthaft von durch staatliche Regulation bedingte Kosten in der Höhe von rund 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auszugehen ist. Der AGV setzt sich für eine massive Reduktion ein und will auch neue Regulierungskosten bremsen. Die Entlastung der Unternehmen von Regulierungskosten entspricht einem Wachstumsprogramm, weil Geld und unternehmerische Kapazitäten dadurch frei werden.

    Wie sieht die Lobby der Aargauer KMU aus?
    Mit dem Beitritt zu einem Gewerbeverein oder einem Berufsverband, welcher dem AGV angeschlossen ist, profitiert ein KMU direkt vom grössten Unternehmernetzwerk im Kanton Aargau.

    Was wünschen Sie sich persönlich für die Aargauer KMU?
    Ich wünsche mir weiterhin innovative, flexible und gesunde KMU- und Gewerbebetriebe in einem KMU-freundlichen Umfeld, welche die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Kantons prägen.

    Interview: Corinne Remund

    Weitere Informationen:
    www.agv.ch

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